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Mit 2023 ist ein weiteres herausforderndes Jahr für die Modebranche zu Ende gegangen. Ein Gespräch mit Tobias Humpert, geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung hachmeister+partner, über den Abschluss 2023, die Folgen für 2024 und warum Nachhaltigkeit auch in diesem Jahr eines der vordringlichsten Themen für die Branche bleibt.
Veröffentlicht am 18.01.2024
TextilWirtschaft: Der Jahreswechsel bietet immer Gelegenheit für Rück- und Ausblicke. Wie hat Ihr Panel den Dezember und das Jahr 2023 abgeschlossen?
Tobias Humpert: Der Dezember 2023 schloss im H.I.T.-Kreis aufgelaufen mit einem Umsatzminus von 7,4% zum Vorjahr ab. Das lag unter anderem an der Negativveränderung der Stückumsätze, mit einem Minus von 12,2% zum Vorjahr. Der stark verregnete Dezember lud dabei nicht zum Shoppen ein.
Das Jahr 2023 hat im H.I.T.-Kreis trotz des schlechten Abschlussmonats aufgelaufen mit plus 3,4% Umsatz zum Vorjahr geendet. Allerdings wird dieses Ergebnis nur durch die erhöhten Durchschnittspreise (plus 7,8% zum Vorjahr) getragen. Die Stückumsätze fielen negativ aus (minus 4,1% zum Vorjahr).
Wie haben sich die entscheidenden Kennzahlen entwickelt?
Die Abschriftenquote war im Gesamtjahr 2023 mit 13,1% unverändert. Gleiches gilt für die erzielte Kalkulation von 57,9%. Durch den negativen Dezember waren die erhöhten Bestände von plus 0,5% aufgelaufen zum Vorjahr zu erwarten. Die LUG für Bekleidung gesamt ist mit 2,4 ausbaufähig und sollte durch gezielte Maßnahmen angegangen werden.
Welche Entwicklung hat Sie überrascht?
Zwar haben wir mit einem Umsatzrückgang im E-Commerce gerechnet. Dieser ist aber deutlich stärker ausgefallen als erwartet. Das galt besonders für den Multibrand-E-Commerce. Der von vielen erwartete Kohorten-Effekt aus der Neukundengewinnung während der Pandemie ist ausgeblieben. Kund*innen, die vor der Pandemie hauptsächlich stationär eingekauft haben, sind in vielen Fällen in die Läden zurückgekehrt.
Darüber hinaus hat der Wettereffekt wieder voll zugeschlagen und alle sonstigen Einflussfaktoren überlagert. Trotz aller Diskussionen zur mittlerweile völlig vom Bedarf entkoppelten Branchensaisonalität, ist es der Branche nicht gelungen, auf den späten Herbstbeginn zu reagieren.
Nun ist für 2024 überall Working-Capital-Optimierung angesagt. Bei angespannten Konsumbudgets wird auch in den nächsten Jahren immer näher am Bedarf gekauft werden. Darauf müssen sich Handel und Industrie besser einstellen.
Welche Sortimentsbereiche waren besonders gefragt?
Nach den Jahren der Hyper-Casualisierung hatten viele Kund*innen wieder Lust auf Sortimente, die der Formalwear etwas näher stehen. Obgleich diese dann meist casualisierter interpretiert wurden. Sicherlich war das insbesondere im ersten Halbjahr auch stark durch Nachholeffekte geprägt, geht aber durchaus darüber hinaus.
Die Topsortimente der Damen waren 2023 Blazer mit plus 30% und Blusen mit plus 14,8% Umsatz. Bei Damen-Blazern gab es im Jahr 2023 verschiedene Trends: von taillierten Schnitten zu Oversized-Schnitten, sowohl cropped als auch lange Blazer, klassische Farben wie Schwarz und als Kontrast sehr auffällige Farben.
Die Gewinner bei Herren waren entsprechend die Sakkos (plus 25,7%). Obgleich zu beachten ist, dass hier auch die Vorlage niedrig war. Sowohl im Damen- als auch im Herrensegment sind die Wirkwaren mit minus 6,5% zum Vorjahr die Verlierer.
Welche Rolle hat die Nachhaltigkeit beim Modekonsum gespielt?
Beim Thema Nachhaltigkeit wird das sogenannte Attitude-Behaviour-Gap immer größer. Immer mehr Konsument*innen geben an, dass Nachhaltigkeit eine große Rolle im Konsum spielt. Im tatsächlichen Kaufverhalten schlägt sich das aber kaum nieder. Bei insgesamt steigendem Preisniveau wurde nur selten zu den Artikeln gegriffen, die besondere Nachhaltigkeitsmerkmale aufgewiesen haben.
Dabei spielt auch das Thema Greenwashing eine große Rolle. Für die Konsument*innen ist es oftmals nicht transparent, was in der Branche nur als nachhaltig deklariert wird und welche Produkte und Marken wirkliche Vorreiter in diesem Bereich sind.
Inwiefern hat das Thema an Relevanz im Modehandel gewonnen?
Es gab durchaus einige Händler, die versucht haben, Nachhaltigkeitskriterien am POS und im Online-Shop sichtbarer zu machen. Da es hierzu jedoch keinen standardisierten Datenaustausch mit der Industrie gibt, ist das sehr aufwendig.
Die Konsument*innen springen bisher auch eher selten darauf an, weshalb es vielerorts zu einer Ernüchterung kam. Dennoch wird das Thema in 2024 fast überall auf der Agenda stehen. Diesmal allerdings politisch getrieben durch die Anforderungen im Rahmen des EU Green Deals. Die Branche ist gezwungen, zu reagieren und die Bedingungen zu erfüllen.
2025 wird die "Corporate Sustainability Reporting Directive"-Richtlinie auch viele mittelgroße Unternehmen treffen. Fluch oder Segen?
Die CSRD-Richtlinie ist Teil des Green Deals der EU und zielt auf eine einheitliche Berichterstattung über Nachhaltigkeit ab dem Jahr 2025 ab. Der Aufwand ist immens und es lässt sich trefflich darüber streiten, ob dieser für den Mittelstand leistbar und zumutbar ist.
Die Grundidee, dem Thema Nachhaltigkeit in der Berichterstattung und mittelbar auch der Finanzierung eines Unternehmens einen höheren Stellenwert einzuräumen, ist aber sinnvoll, wenn wir es mit der nachhaltigeren Ausrichtung unserer Branche ernst meinen. Die Konsumentennachfrage allein wird diesen Effekt nicht hervorrufen.
Ist der Modehandel darauf vorbereitet?
Auf die CSRD-Richtlinien sind bisher die allerwenigsten Unternehmen in der Branche vorbereitet. Um ab 2025 allein die richtigen Daten dafür zu erfassen, bedarf es vieler zu schaffender Voraussetzungen, mit denen man sich bereits jetzt auseinandergesetzt haben sollte.
Idealerweise sollte man bereits 2024 einen Dry Run machen. Einige Unternehmen haben bereits erste Nachhaltigkeitsberichte veröffentlicht. Das waren auch tolle Initiativen, aber mit den künftigen CSRD-Anforderungen hatte das in der Regel noch nicht viel zu tun.
Was ist dabei die größte Herausforderung für den Handel und die Industrie?
Der Ressourcenbedarf, um die Anforderungen zu verstehen, strategische Ziele zu definieren, Voraussetzungen zu schaffen und die erforderlichen Daten zu erfassen, ist enorm. Das kann nicht einfach nebenbei gemacht werden. Gleichzeitig ist es wichtig, die regulatorischen Anforderungen auch mit der eigenen Nachhaltigkeitsstrategie und deren Umsetzung zusammenzubringen – sofern es eine gibt.
Es wäre doch fatal, diesen immensen Aufwand, der unvermeidbar ist, nur zur Erfüllung der Berichtspflicht zu betreiben. Genau das zeichnet sich aber in vielen Unternehmen ab, vor allem bei den größeren. Da gibt es jemanden im Finanzbereich, der mit CSRD betraut wird, aber über ganz andere Themen spricht, als der oder die Kolleg*in, die die Umsetzung der bereits definierten Nachhaltigkeitsstrategie vorantreiben soll. Oder es gibt noch gar keine ausformulierte Strategie. Dann sollte man den Zeitpunkt nun nutzen und die Nachhaltigkeitsstrategie und CSRD gleich in einem Guss bearbeiten.
TextilWirtschaft, Aziza Freutel: "Jetzt ist Working-Capital-Optimierung angesagt" (Donnerstag, 18. Januar 2024)
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