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TextilWirtschaft: "Was haben Super Mario Land und der Modehandel gemein?"

Händler und Personalexperten wollen den Modehandel als Arbeitgeber wieder attraktiv machen – mit innovativen Konzepten und flexibler Haltung. Gar nicht so einfach.

Veröffentlicht am 09.10.2023

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"Was haben Super Mario Land und der Modehandel gemein?"

Verkauf neu denken - aber wie?
Händler und Personalexperten wollen den Modehandel als Arbeitgeber wieder attraktiv machen – mit innovativen Konzepten und flexibler Haltung. Gar nicht so einfach.

"Kind, bitte nicht in den Modehandel, das ist doch nichts für Dich!" Die Eltern einer Abiturientin mit einem Notendurchschnitt von 1,8 waren entsetzt, als sich ihre Tochter für eine Ausbildungsstelle im Modehaus Schulte im niedersächsischen Scharpen bewarb. Nicht lieber studieren? Nicht lieber was Solides? Die junge Frau, so berichtet es Geschäftsführer Markus Focks während des Roundtable-Gesprächs "Verkauf neu denken" der Unternehmensberatung hachmeister + partner in Frankfurt, habe sich vor allen rechtfertigen müssen, weil sie eine Karriere im Modehandel anstrebte. Vor ihren Eltern, ja quasi vor der ganzen Gesellschaft.

Die Anekdote steht exemplarisch für das große Problem, vor dem die Branche gerade steht: dem Fachkräftemangel. Wie begeistert man junge Menschen für einen Job im Modeverkauf? Wie entwickelt man sie? Und das alles vor dem Hintergrund des steigenden Kostendrucks? Wie kann man die Erwartungshaltung von Kundschaft, Mitarbeitenden und die des Unternehmens in Einklang bringen?, formuliert es Uwe Seibicke, Partner bei h + p, der durch die Veranstaltung führte.

Ein branchenfremdes Beispiel zeigt, dass es funktionieren kann: Sabrina Poser, Inhaberin von Sabrina Poser Biosthetik Hair & Beauty in Herford, ist in einer Branche tätig, die im Hinblick auf Arbeitszeit, Lohn und Reputation gerade ähnlich gebeutelt ist wie die Modebranche und seit der Corona-Pandemie mit einem ähnlichen Fachkräftemangel zu kämpfen hat – die Friseurbranche. Doch über zu wenig junge Leute, die bei ihr arbeiten wollen, kann sich die Unternehmerin, die vergangenes Jahr die Models von Marc Cain auf der Fashion Week in Berlin gestylt hat, nicht beklagen.
"Wir zahlen 19 Euro die Stunde als Standardlohn", so Poser. Das sei natürlich für die Branche vergleichsweise hoch – aber nicht alles. Für ihr Ausbildungskonzept sei sie ausgezeichnet und sogar zum Bundespräsidenten eingeladen worden. Sie führe ihre 14 Mitarbeitenden, die alle in ihrer Firma ausgebildet wurden, auch nach deren Biostruktur, lasse beispielsweise ruhige Menschen auch mal allein in die Mittagspause gehen. Es gehe darum, menschliche Eigenarten zu klassifizieren und leichter durchschaubar zu machen. "Wir wollen Stärken stärken und nicht Schwächen zu Stärken machen." Wichtig sei, die Verantwortlichkeiten der Mitarbeitenden zu stärken, das erhöhe auch die Bindung an das Unternehmen.
Von Führung über Zahlen hält Poser indes nichts: "Wir führen fünf Mitarbeitergespräche pro Jahr." Aber nur das erste, Anfang des Jahres, sei ein Zahlengespräch. Wichtig sei indessen, dass alle Angestellten Zugang zu den wichtigsten Kennzahlen haben, das erhöhe das unternehmerische Verständnis und den Ansporn eines jeden. "Wenn wir den Lohn erhöhen, ist das eine Team-Entscheidung", erklärt Poser. Wer im Team zusätzliche Verantwortungsbereiche übernehme, bekomme aber auch mehr Geld dafür.

Die Entwicklung von Mitarbeitenden als strategische Aufgabe der Unternehmensführung anzusehen, ist laut Behija Karup, Chief People Officer bei Tom Tailor, das A und O – aber in der breiten Masse noch immer nicht gang und gäbe. Weder in kleineren Unternehmen wie dem von Poser noch in größeren. "Dem Faktor Mensch wurde zu wenig strategische Bedeutung beigemessen", erklärt Karup. Und das in Zeiten, in denen sich die Erwartungshaltung der Kundschaft an den Handel auf der einen Seite maßgeblich erhöht habe: "Kunden wollen echte Begegnungen, authentisches Story-Telling, eine gute Atmosphäre, ein Erlebnis, das die Sinne berührt. Ich glaube, dass der Beruf des Verkäufers, wie er heute gelebt wird, ausgedient hat." Auf der anderen Seite habe es der Handel mit einer starken Abwanderung von Mitarbeitenden auf der Fläche Richtung Industrie zu tun: "Im US-Retail ist die Fluktuation 25% höher als vor der Pandemie."

Aber wie schafft man nachhaltige Mitarbeiterbindung in Zeiten, in denen die Ausgaben der Kundschaft deutlich zurückgehen, die Unsicherheit und Inflation zunehmen? Laut der Working-in-Fashion-Studie der TextilWirtschaft ist fehlende Wertschätzung nach dem Gehalt immer noch einer der am häufigsten genannten Kündigungsgründe in der Modebranche. Focks vom Modehaus Schulte sagt dazu: "Der Mitarbeiter ist nicht ein USP, sondern der USP."

Oder, wie es Thomas Klein, Geschäftsführer des Filialisten Schuh und Sport Mücke, sagt: "Gute Laune – gutes Geschäft." Und die ist laut Jasmina Hasanbegovic vor allem dann gegeben, wenn die Führungskraft ihrer Vorbildfunktion gerecht wird. Die HR-Expertin berät und schult Menschen und Unternehmen und kennt das Business gut. Sie war fast zehn Jahre als HR-Director bei Louis Vuitton tätig.
"Die Rolle der Führungskraft ist der zentrale Hebel", sagt sie. Wichtig seien dabei immer pragmatische Konzepte statt irgendwelcher Hypes. Als Louis Vuitton vor zehn Jahren einen Veränderungsprozess gestartet habe, sei eigentlich alles super gelaufen. Aber man habe früh angesetzt und gemerkt, dass das große Headquarter, die vielen Silos, die vielen Reportings für die Store-Manager nicht effizient gewesen seien. Damit sich die Mitarbeitenden in der Filiale dem Wichtigsten, nämlich der Kundschaft, widmen können, seien die Reportings gebündelt worden. Am Samstag, dem wichtigsten Verkaufstag, wurden sie sogar ganz gestrichen. Das sei nur ein kleines Beispiel, das aber eine große Wirkung erzielen könne. Ausgangspunkt für fast alle langfristig erfolgreichen Maßnahmen sei aber immer die Geschäftsführung, die HR als Sparringspartner akzeptieren müsse, und nicht nur als Erfüllungsgehilfen.

Aber wie findet man die passenden Store-Manager, die passenden Mitarbeitenden im Verkauf? Wie schafft man es, den Job für mehr junge Menschen attraktiv zu machen? Dass das die Haupt-Herausforderung sei, bestätigt auch Marc Ramelow: "Wie legen wir das negative Image ab?", fragt der Händler. Die Kritik an der Gen Z ist in der Diskussionsrunde, in der alle Teilnehmenden dieser Altersgruppe entwachsen sind, immer wieder Thema: Sie täte sich schwer mit Führung, wolle samstags nicht arbeiten, fordere generell zu viel Freizeit, zu viel Lohn und zu viel Mitspracherecht.

Bettina Grüninger, Geschäftsführerin der Ausbildungsplattform Texoversum der LDT Nagold, relativiert diese Kritik jedoch: Dass die Gen Z, wie ihr viele vorwerfen, die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfischs habe, stimme nicht. "Natürlich ist vielen die Work-Life-Balance wichtig, aber die Weiterentwicklung ist vielen heutzutage viel wichtiger als etwa das Gehalt. Sie wollen nicht wie wir 20 Jahre lang auf einer Stelle treten." Das sei schon im Studium erkennbar. "Wir haben Studierende, die verdienen als Reseller von Luxusware ihr Geld, ich habe denen dafür sogar ein Büro zur Verfügung gestellt."

Der Gen Z sei klar, dass sie Super Mario spielen müsse: hoch, runter, rechts, links. Und das könnte man sich doch auch als Arbeitgeber zunutze machen. Viel Potenzial haben laut Grüninger auch die Arbeitszeitmodelle. An der LDT sei daher auch das "Vier-Tage-Studium" möglich – sei es, um sich an den anderen Tagen das Studium zu finanzieren oder eine bessere Work-Life-Balance zu haben.

Das bestätigt auch Caroline Berg, Bereichsleitung Mitarbeiterentwicklung bei Henschel in Darmstadt. Auch Henschel habe die Vier-Tage-Woche eingeführt. Um Samstagsarbeit komme man im Handel aber selbstredend nicht herum. Aber die Flexibilität, so die einhellige Meinung, sei auf Arbeitgeberseite wichtig.

"Vor 20 Jahren habe ich mich als Auszubildender bei einer Volksbank beworben – heute bewerbe ich mich als Unternehmen bei den Bewerbern", bringt es Focks vom Modehaus Schulte auf den Punkt. Und wenn die Branche es richtig anstellt, wird die 18-jährige Abiturientin mit Einser-Schnitt sich vielleicht auch nicht mehr rechtfertigen müssen, eine Karriere im Modehandel anzustreben.

TextilWirtschaft, Sarah Speicher-Utsch: "Was haben Super Mario Land und der Modehandel gemein?" (Freitag, 06. Oktober 2023)

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