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Tobias Humpert, geschäftsführender Gesellschafter bei der Bielefelder Unternehmensberatung Hachmeister+Partner spricht mit der TextilWirtschaft über die Umsatz-Annäherung an 2019, Fortschritte bei der Marge und den Modekonsum in Zeiten hoher Inflation.
Veröffentlicht am 11.05.2022
TextilWirtschaft: Wie sieht die aktuelle Umsatzentwicklung in Ihrem Händlerkreis derzeit aus?
Tobias Humpert: Obgleich der April bei vielen Händlern nun fast wieder auf Vor-Corona-Niveau war (minus 3,8 % gegenüber 2019) und die erste Maiwoche umsatzmäßig über 2019 lag, liegt der Multibrand-Modehandel aufgelaufen noch minus 18 % unter 2019. Die HAKA schneidet dabei mit minus 19,3 % etwas schlechter als die DOB (minus 17,7 %) ab.
Wie sieht es bei den wichtigsten Kennzahlen aus?
Die Abschriftenquote liegt mit aufgelaufen 17,9 % deutlich unter den abschriftenintensiven Corona-Jahren und auch leicht unterhalb des Vor-Corona-Niveaus. Bei schwachen Umsätzen wurden also zumindest relativ gute Margen erzielt. Die LUG ist mit 2,1 zwar höher als 2020 und 2021, aber noch zu weit entfernt vom 2019er-Niveau (2,4). Die Teile pro Bon liegen aktuell zweistellig unter Vorjahr, wobei zu beachten ist, dass diese Kennzahl im Vorjahr bedingt durch die Schließungen ungewöhnlich hoch war. Gegenüber 2019 sind sie auf einem weitgehend normalen Niveau, im April sogar leicht darüber.
Im April hat die Inflation weiter zugelegt. Lassen sich Veränderungen im Modekaufverhalten feststellen, die darauf zurückzuführen sind?
Natürlich. Dabei gilt es aber zwei Effekte auseinander zu halten. Zum einen führen die allgemeinen Preissteigerungen insbesondere für Energie, Transport und Lebensmittel zu einem sinkenden verbleibenden Konsumbudget für Mode, was der Modehandel als Erstes zu spüren bekommt. Zum anderen stehen diesem verringerten Konsumbudget dann auch noch erhebliche Preissteigerungen für Mode gegenüber. Teilweise konnten wir diese schon in der aktuellen F-/S-Saison sehen, deutlich heftiger wird es dann im Herbst.
Wie haben sich die Preise in dieser Saison entwickelt?
Der erzielte Durchschnittspreis für Bekleidung lag von Februar bis April mit 56 Euro immerhin satte 18,7 % über dem Vorjahr. Dieser Unterschied ist allerdings stark durch die im Vorjahreszeitraum unüblich hohen Abschriften sowie durch einen veränderten Warengruppen-Mix geprägt. Ohne Abschrifteneffekt liegt der Durchschnittspreis in der HAKA zwar immer noch 8,9 % über 2021, der Anstieg ist aber zu großen Teilen mit dem veränderten Warengruppen-Mix (mehr Anzüge und Sakkos, weniger Strick, Wirk und Hosen) zu erklären. In der DOB liegt der Durchschnittspreis vor Abschriften 5,3 % über 2021, wobei auch hier ein Effekt aus Verschiebungen zu höherpreisigen Sortimenten erkennbar ist, dieser ist aber weniger ausschlaggebend. Insgesamt sind die Preiserhöhungen damit noch moderat.
Was erwarten Sie für den Herbst?
Wenn die Preise im Herbst/Winter um teilweise mehr als 10 % steigen, ist mit erheblichen Verwerfungen zu rechnen. Einige Konsument*innen werden vor dem Hintergrund verringerter Modekonsumbudgets auch mal zur günstigeren Alternativmarke greifen (müssen), andere werden die Anzahl der Teile deutlich reduzieren, was manche vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeitsdebatte ohnehin planen. Andere werden sich gerade in Krisenzeiten über einen Modeeinkauf auch mal selbst belohnen oder das angesparte Geld "verkonsumieren", bevor es weniger wert wird. Diese Effekte werden je nach Genre und Positionierung sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. In den nächsten Wochen und Monaten gilt es das genau zu beobachten und in sehr kurzen Zeitabständen zu analysieren, um Risiken zu mindern, aber vor allem auch um Chancen kurzfristig zu erkennen.
Wie entwickeln sich die Stilgruppen?
Während der Corona-Jahre hatten wir ja neben der Mega-Casualisierung eine Tendenz von "seltener, aber wertiger kaufen" festgestellt. Dadurch ist vor allem das Segment Modern Premium anteilig erheblich gewachsen. Dies scheint sich nun wieder etwas umzukehren. Die klassischeren Segmente gewinnen wieder, was sicher auch mit Nachholbedarf im Business-Bereich und einer Tendenz zu einem "New Chic" zusammenhängt. Diese Nachholeffekte finden aber eben aktuell in eher mainstreamigen Preislagen statt, sodass der anteilige Rückgang von Modern Premium aktuell zugunsten von (Modern) Classic Mainstream erfolgt. Diesen Effekt sehen wir in HAKA und DOB.
Welche Folgen würde ein Öl- und Gasembargo für den Handel haben?
Natürlich gehört der stationäre Handel insgesamt nicht zu den energieintensiven Branchen, aber dennoch würde sich ein Gas- oder Ölembargo jenseits der Produktpreise auch direkt in der Handels-GuV deutlich auswirken. Üblicherweise betragen die Energiekosten (Strom, Gas, Heizung, Wasser) im großflächigen Modehandel etwa 1,5 % des Brutto-Umsatzes. Das hört sich zwar nach einer kleinen Position an, wenn sich diese aber verdoppelt, verschlingt das bei den geringen Umsatzrenditen vielerorts bereits einen Großteil des gesamten EBITs. Die Investitionen etwa in Fotovoltaik vieler Händler zahlen sich nun aus. Da anders als im privaten Bereich die Stromerzeugung aufgrund der Öffnungszeiten zeitlich gut zum Strombedarf passt, ist das an vielen Standorten attraktiv, muss aber natürlich im Einzelfall geprüft werden.
TextilWirtschaft, Azizia Feutel: Interview mit Tobias Humpert, hachmeister + partner: "Im Herbst ist mit erheblichen Konsum-Verwerfungen zu rechnen" (Mittwoch, 11. Mai 2022)
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