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Trocken und mild ist das Frühjahr 2025. Dennoch zündet die Nachfrage nach sommerlicher Mode nicht richtig. Woran das liegt und welche Rolle Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft in der Modebranche derzeit spielen, analysiert Franziska von Becker, Principal bei hachmeister + partner in Bielefeld - und Mitglied im TW-Experten-Rat.
Veröffentlicht am 21.05.2025
Trocken und mild ist das Frühjahr 2025. Dennoch zündet die Nachfrage nach sommerlicher Mode nicht richtig. Woran das liegt und welche Rolle Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft in der Modebranche derzeit spielen, analysiert Franziska von Becker, Principal bei hachmeister + partner in Bielefeld - und Mitglied im TW-Experten-Rat.
TextilWirtschaft: März und April waren nicht nur sehr warm, sondern auch sehr trocken. Eine Entwicklung, die sich im Mai fortsetzt. Dennoch scheint das Thema Nachhaltigkeit derzeit aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt. Wie sieht das in der Modebranche aus?
Franziska von Becker: Es stimmt: Nachhaltigkeit ist medial gerade weniger präsent. In der Modebranche beobachten wir jedoch eine differenzierte Entwicklung. Einerseits sinkt kurzfristig der kommunikative Druck, andererseits steigt der strukturelle Handlungsdruck durch langfristige Regulierung und Konsumentenerwartungen. Nachhaltigkeit wird zunehmend nicht mehr als Marketingthema verstanden, sondern als zentraler Bestandteil strategischer Unternehmensführung. Wer sich jetzt ausruht, verliert Anschluss. Wer jedoch Nachhaltigkeit als integralen Bestandteil seiner Transformation begreift, kann gezielt Zukunftsmärkte erschließen.
In der Kommunikation zeigt sich ein Wandel: Die Zeit großer Versprechungen und oberflächlicher Siegelkommunikation ist vorbei. Der Handel fordert heute transparente, faktenbasierte Informationen, um sowohl regulatorischen Anforderungen als auch dem zunehmenden Anspruch der Endverbraucher gerecht zu werden – und sich zugleich glaubwürdig gegen den Vorwurf des Greenwashings abzusichern. Es gibt einige weniger strenge Zertifizierungen, die von führenden Händlern zunehmend kritisch hinterfragt oder gar nicht mehr akzeptiert werden.
Inwieweit hat sich das Wetter auf die Modenachfrage im vergangenen Monat ausgewirkt?
Der April schloss mit einem Umsatzminus von 1,7% zum Vorjahr ab. Diesem Umsatzminus steht ein positives Ergebnis in der Umsatz-Stückbetrachtung (plus 1,0%) gegenüber. Das außerordentlich warme und sonnige Wetter hatte somit nicht direkt einen Einfluss auf das Einkaufsverhalten und das Monatsergebnis. Viel mehr beeinflussten die Abschriften (plus 0,4 Prozentpunkte zum Vorjahr) und der Anteil an Rotpreisartikeln (plus 0,9% Prozentpunkte zum Vorjahr) das Ergebnis.
Wie hat das H+P-Händlerpanel die ersten Wochen im Mai abgeschlossen?
Die Wochen 18 (lag anteilig noch im April) und 19 hätten nicht gegensätzlicher ausfallen können: Für die 18. Woche lag das Umsatzergebnis bei plus 1,7% zum Vorjahr. Dieses Ergebnis wurde bei einer rückläufigen Frequenz von minus 0,9% zum Vorjahr erzielt. Die 19. Woche hingegen erzielte bei einer gestiegenen Frequenz mit plus 1,5% zum Vorjahr ein negatives Umsatzergebnis von minus 2,1%. Erwähnenswert bei diesem Ergebnis ist, dass die 19. Woche durch eine Feiertagsverschiebung sogar einen Verkaufstag mehr als im Vorjahr hatte.
Wie haben sich in dem Zeitraum weitere Kennzahlen wie Conversion Rate, LUG, Teile pro Bon entwickelt?
Die Conversion Rate lag im April plus 0,7 Prozentpunkte über dem Vorjahres-Niveau. Dem gegenüber stand eine rückläufige Frequenz von minus 3,6% zum Vorjahr. Auch die LUG konnte eine positive Veränderung von 1,4% verzeichnen, jedoch machte sich dies kaum bemerkbar. Auch die Teile pro Bon erhöhten sich um 1,6%.
Welche Produktgruppen haben sich am stärksten entwickelt, welche am schwächsten?
In der DOB performten, wie bereits in den letzten Monaten, die Röcke (plus 24,1% zum Vorjahr) und Jeans (plus 16,9% zum Vorjahr) am besten. Bei den Röcken sehen wir vor allem lockere Midi-Längen als Top-Seller-Produkte. Kleider (minus 22,0% zum Vorjahr) und Blazer (minus 15,0% zum Vorjahr) rückten weiterhin in den Hintergrund. In der HAKA überzeugten Polos (plus 11,6% zum Vorjahr) und T-Shirts (plus 11,0% zum Vorjahr). Im April waren einfarbige Basic T-Shirts mit Rundhalsausschnitt und kleinem Logo auf der Brust gefragt. Die Sakkos (minus 17,2% zum Vorjahr) und Bermudas / Shorts (minus 11,7% zum Vorjahr) waren rückläufige Sortimente.
Wie hat sich die Nachfrage nach nachhaltiger produzierten Modeartikeln entwickelt?
Die Nachfrage ist differenzierter geworden. Es geht längst nicht mehr nur um das Label "nachhaltig", sondern zunehmend um die Wertehaltung eines Unternehmens. Im Fokus stehen dabei Glaubwürdigkeit, Transparenz und konkreter Nutzen – sowohl auf Produktebene als auch im Gesamtbild der Marke. Angesichts eines übervollen Angebots brauchen Marken und Produkte ein klar formuliertes Marken- und Werteversprechen, das sowohl Konsumenten als auch Mitarbeitenden und potenziellen Talenten Orientierung bietet. Das Preis-Leistungs-Verhältnis bleibt wichtig, aber Konsumenten, besonders die junge Zielgruppe, fordern zunehmend klare Positionen und echte Lösungen. Unternehmen, die Nachhaltigkeit strategisch verankern, können hier Vertrauen und Differenzierung aufbauen. Greenwashing wird dagegen immer schneller enttarnt.
Die Einführung der CSRD-Pflicht wurde erst einmal aufgeschoben. Was bedeutet das für die Modehandelsunternehmen, die sich in Sachen Nachhaltigkeitsbericht etc. auf den Weg gemacht haben?
Der Aufschub der CSRD ist kein Freifahrtschein, sondern ein strategisches Zeitfenster. Für viele Unternehmen bietet sich jetzt die Chance zum "Reset" der ESG-Strategie. Nach Jahren des Aufbaus von Strukturen und Zuständigkeiten geht es nun um die Kernfragen: Was ist wirklich notwendig? Was ist wirtschaftlich tragfähig? Und wie lässt sich ESG wirksam im Unternehmen verankern? "Reset" bedeutet die Neupositionierung der ESG Strategie. ESG darf nicht länger als reine Berichtspflicht verstanden werden – sondern als Teil der Unternehmensstrategie, der Resilienz schafft, Risikomanagement verankert, Innovation ermöglicht und Werte glaubwürdig vermittelt.
Welche Rolle spielt das Thema Kreislaufwirtschaft aktuell in der Modebranche?
Kreislaufwirtschaft wird zunehmend als Schlüsselstrategie erkannt. Recycling, Reparaturservices, Mietmodelle oder Take-Back-Systeme sind nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch wirtschaftlich attraktiv, sofern sie gut in bestehende Geschäftsmodelle integriert werden. Der Fokus verlagert sich: Weg vom reinen Produktverkauf hin zu Nutzung, Service und Materialkreisläufen. Die Herausforderung ist, Skalierung und Konsumentenakzeptanz klug zu verbinden.
Wo sehen Sie Potenzial für den Modehandel bei diesem Thema?
Formate wie kuratierte Secondhand-Sortimente, Take-back-Systeme oder Repair-Services schaffen nicht nur neue Erlösmodelle, sondern auch wertvolle Touchpoints und Kundenbindung. Gleichzeitig sind sie organisatorisch anspruchsvoll. Viele Händler stehen hier noch am Anfang. Industrieseitig beobachten wir aktuell den Beginn tiefgreifender technologischer Entwicklungen. Angesichts begrenzter Ressourcen und steigender regulatorischer Anforderungen wird textiles Recycling zu einem zentralen Zukunftsthema. Derzeit wird nur etwa 1% der Alttextilien recycelt – das zeigt den enormen Handlungsbedarf. Besonders wichtig sind daher Fortschritte bei Recyclingfasern sowie ressourcenschonenden Alternativen zu klassischen Materialien wie Baumwolle und Polyester. Hier entstehen vielversprechende Ansätze, oft initiiert von den großen Playern der Industrie, die mittelfristig auch für den breiten Markt relevant werden.
Welche Rolle spielen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft für die Modekundinnen und -kunden?
Für viele Konsument:innen wird Nachhaltigkeit zum Hygienefaktor. Gleichzeitig gilt: Convenience und Preis müssen mitgedacht werden. Besonders erfolgreich sind Formate, die Nachhaltigkeit einfach und relevant machen durch transparente Herkunftsangaben oder zirkuläre Services mit echtem Mehrwert. Kreislaufwirtschaft darf kein moralisches Projekt sein, sondern ein smartes Angebot.
Inwieweit können es sich Modehandelsunternehmen leisten, sich nicht mit dem Thema Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft auseinanderzusetzen?
Ganz klar: Gar nicht! Die Frage ist nicht mehr, ob, sondern, wie man Nachhaltigkeit integriert. Wer heute nicht handelt, läuft nicht nur regulatorisch Gefahr, sondern verliert auch Anschluss an Märkte, Talente und Finanzierungen. Gleichzeitig geht es nicht um "alles oder nichts", sondern um einen strategischen Fahrplan. Die gute Nachricht: Wer Nachhaltigkeit als wirtschaftliche Chance begreift, kann zukunftsfähiger und resilienter wirtschaften.
TextilWirtschaft, Aziza Freutel: "Nachhaltigkeit ist eine wirtschaftliche Chance" (Mittwoch, 21. Mai 2025)
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