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Tobias Humpert, geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung hachmeister + partner, spricht über mögliche Strategien für die Branche, auf die neuen Wetterbedingungen und die damit einhergehenden Verschiebungen der Saisons zu reagieren.
Veröffentlicht am 19.08.2024
Der Klimawandel wird immer offensichtlicher und wenn die Jahreszeiten sich verschieben, wird dies auch für den Handel spürbar: Wer kauft schon Bademoden und Sommerware, wenn Mai, Juni und Juli komplett verregnet sind? Wir sprachen mit Tobias Humpert, geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung hachmeister + partner, über mögliche Strategien für die Branche, auf die neuen Wetterbedingungen und die damit einhergehenden Verschiebungen der Saisons zu reagieren.
FASHION TODAY: Herr Humpert, man kann vermehrt beobachten, dass sich infolge des Klimawandels die Jahreszeiten verschieben. Der September 2023 war beispielsweise der wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881. Können Sie anhand solcher Rekordtemperaturen ablesen, dass sich das Kaufverhalten von Verbraucherinnen und Verbrauchern verändert? Dass also aufgrund von sehr warmen Septembern das Herbstgeschäft nur schleppend oder gar nicht anläuft?
Tobias Humpert: „Absolut, vor allem im Mainstream-Segment. Mittlerweile kaufen aber oft auch die Konsumentinnen und Konsumenten der höherpreisigen Segmente immer näher am Bedarf. Wenn dann etwa im September sommerliche Temperaturen vorherrschen, wird die Winterware kaum angefasst. So hatte der September 2023 in unserem Datenpanel trotz attraktiver UVPs nur einen Umsatzanteil von unter 7 Prozent in der Menswear und gut 8 Prozent in der Womenswear und ist damit mittlerweile der umsatzschwächste Monat der zweiten Jahreshälfte. Und das zu einer für diesen Zeitpunkt bereits relativ hohen Abschriftenquote von 10,2 Prozent (Herren) und 10,5 Prozent (Damen). Diese entsteht auch stark daraus, dass im September dann immer noch reduzierte Frühjahr/Sommer-Ware verkauft wird, auch wenn diese in der Regel nicht mehr beworben wird.
Danach war in den letzten Jahren der Oktober der einzige Monat der Herbst/Winter-Saison mit einer einstelligen Abschriftenquote. Da dann aber bereits Black Friday und Co vor der Tür stehen, schieben viele Konsumentinnen und Konsumenten ihren Einkauf noch etwas auf und kaufen bereits im November reduzierte Winterware ein. Während der November früher ein Monat mit einstelliger Abschriftenquote war, hat diese sich in den letzten Jahren eher auf um die 11 Prozent eingependelt.“
Reagiert nach Ihrer Beobachtung der Handel mit einem angepassten Sortiment auf ein grundsätzlich wärmeres Wetter im Herbst oder auf mehr Regen im Sommer? Hat sich etwas am Einkaufsverhalten und auch an der Kalkulation geändert?
„Der Handel versucht an vielen Stellen verstärkt, auf transsaisonale Styles zu setzen. Darüber hinaus wird versucht, die Vororder-Quote zu reduzieren, um mehr Limit nah am Marktgeschehen platzieren zu können. Auch ist vielerorts eine generelle Verschiebung der Saisons in Diskussion, aber die Umsetzung kommt nur in kleinen Schritten voran, da das Thema sehr komplex ist.“
Nehmen Sie wahr, dass auch die Hersteller auf den Klimawandel reagieren, dass sich zum Beispiel der Anteil saisonal unabhängiger Ware gesteigert hat?
„In vielen Warengruppen lässt sich das gut beobachten. So war zuletzt zum Beispiel ein immer höherer Anteil des Outdoor-Umsatzes durch Übergangsware geprägt. Auch wird immer mehr darauf geachtet, dass Teile vielseitig kombinierbar sind und damit bei unterschiedlichem Wetter und für unterschiedliche Trageanlässe genutzt werden können.“
Können Sie sich vorstellen, dass aufgrund von immer heißeren Sommern und wärmeren Wintern und einer damit einhergehenden Verkürzung der Übergangszeiten die Saisons Frühling und Herbst im Handel und bei den Herstellern irgendwann komplett wegfallen?
„Für die Branche liegen dort erhebliche Chancen: mehr Abwechslung in den Warenbildern, eine schnellere Lagerdrehung, weniger Abschriften. Dieses Modell wäre korrekt angewendet auch das nachhaltigere, da es weniger Überschuss mit sich bringt. Dennoch sind die Hürden hoch, weshalb die Branche nur langsam vorankommt. Prozesse und Strukturen, die über Jahrzehnte gewachsen sind, müssen gänzlich neu gestaltet werden. Einige Marktteilnehmer haben sich hier erfolgreich auf den Weg gemacht, aber viele verharren noch in einer Position, das Problem auf die jeweils andere Seite zu verschieben. So beklagt vielerorts die Industrie, der Handel wolle eben Ware schon so früh wie möglich, um genug Zeit bis zur mittlerweile sehr frühen Reduzierungsphase zu haben. Und der Handel verweist auf zu wenig Planungssicherheit, um zu einem späteren Zeitpunkt noch passende neue Themen ordern zu können. Das zeigt, dass es zunächst Einigkeit über ein neues Kooperationsmodell zwischen Industrie und Handel braucht, bevor die Prozesse im Detail verändert werden können. Aktuell arbeiten wir daher mit einer Gruppe von Herstellern und Händlern gemeinsam daran, wie das Modell der Zusammenarbeit so verändert werden kann, dass sich beide Seiten flexibler auf den Kundenbedarf einstellen können.“
Können Sie bei diesem Thema einen unterschiedlichen Umgang bei Online-Händlern und dem stationären Handel erkennen? Wird der Online-Handel also grundsätzlich weniger von den klimabedingten Verschiebungen der Saisons beeinflusst, auch durch die Möglichkeit, Sortimente ganzjährig anbieten zu können?
„Nachfrageseitig stehen beide Kanäle vor derselben Herausforderung. Wenn durch das Wetter noch kein Bedarf bei den Konsumentinnen und Konsumenten geweckt wurde, wird wenig gekauft. Allerdings ist der Online-Kanal in der Vielfalt der Themen, die er anbieten kann, weniger eingeschränkt als ein physischer PoS. Wir sehen, dass dadurch saisonale Nischen besser bedient werden können. Wenn beispielsweise einige Konsumentinnen und Konsumenten in der Winterhälfte in die Sonne fliegen, decken sie sich gezielt online ein, da die Läden zu dem Zeitpunkt kein Angebot haben.“
Vielen Dank für Ihre Einschätzung!
FASHION TODAY, Katja Vaders: "Es braucht Einigkeit" (Ausgabe August 2024)
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